Eins von vielen Zechen-Unglücken

Josef Blazek hinterlässt 1919 eine Frau und drei Kinder

Bottrop ist eine junge Stadt, die erst 1919 bei einer Einwohnerzahl von 72.000 die wohl verdienten Stadtrechte erhalten hat. Im Juli 1919 verlieh das Staatsministerium dem ehemals „größten Dorf Preußens“ Stadtrechte. In der Vergangenheit war Bottrop schon immer ein Dorf mit hohen Einwohnerzahlen gewesen: Es taucht schon in den Urbaren der Abtei Werden a.d. Ruhr auf. Bei Kriegsausbruch 1914 lebten bereits 68.000 Menschen in der Landgemeinde Bottrop. 1953 schließlich rückte Bottrop mit 100.000 Einwohnern in die Reihe der Großstädte auf.
In der Woche vom 16. bis 22. Februar 1919 fand eine Aktion gegen Bottrop statt, die mit der Erstürmung des dortigen Rathauses ihren Abschluss fand. – Schlimm war es, was Bottrop in jenen Tagen erleben musste. Etwa 100 Menschen verloren bei Kampfhandlungen ihr Leben, davon allein 13 am 19. Februar: Menschen, die vergeblich versucht hatten, das Bottroper Rathaus gegen bewaffnete Massen aus Düsseldorf, Mülheim an der Ruhr, Hamborn, Sterkrade, Oberhausen und Duisburg zu verteidigen. Die Behörde wurde zwei Stunden lang beschossen, da der Bottroper Arbeiter- und Soldatenrat ein ihm gestelltes Ultimatum abgelehnt hatte. Man hoffte bis zuletzt auf ein rechtzeitiges Eintreffen der Regierungstruppen. Das blieb aber vorerst aus, sodass man sich notgedrungen kurz nach 17 Uhr ergab. 10 Verteidigerinnen und Verteidiger wurden nach den Recherchen des Bottroper Hobbyhistorikers Şahin Aydin bei dem Feuergefecht erschossen und vier weitere erschlagen, von denen einer später seinen schweren Verletzungen erlag. Ein Ehrenmal auf dem Westfriedhof erinnert heute an die Ermordeten. Im Februar zog das Freikorps Lichtschlag kampflos ein, die bewaffneten Arbeiter hatten sich aus Bottrop zurückgezogen.
Im März 1919 verließ Pfarrer Lichtenberg Bottrop. An seine Stelle trat am 6. April Pfarrer Ludwig Köhnlein, der aus Saaralben in Lothringen kam.

Bottrop auf alten Ansichtskarten

Bottrop-Boy i.W.: Ecke Welheimer und Gungstraße, 1929

Zum Ärger vieler wurde die katholische Kirche St. Johannes d. T. als zweite Kirche Bottrops 1897–1898 in der entlegenen Bauerschaft Boy errichtet, wo nur wenige Bergleute wohnten. Der Entwurf datiert von 1896. Nach Bombenschäden während des Zweiten Weltkrieges wurde sie in vereinfachten Formen wiederhergestellt. Die Freiwillige Feuerwehr, Bottrop, II. Löschzug, Boy wurde am 24. September 1904 gegründet. Vorsitzender war laut Adressbuch von 1930/31 Franz Niermann, Schriftführer Theodor Bombeck, Kassenwart Fritz Berkenbusch, das Vereinslokal befand sich bei Theodor Keisel.
Soweit zu den Ereignissen und Umständen in der damaligen Zeit.

Gemeinderatswahlen in Bottrop 1919

Das Ergebnis der Gemeinderatswahlen. Ruhrwacht – Oberhausener Volkszeitung, 12. März 1919

Durch ein tragisches Unglück kam in jenem Jahr der Gießereiarbeiter Josef Blazek ums Leben. Er starb laut polizeilicher Meldung am 8. Mai 1919 im Alter von nur 39 Jahren auf der Zeche „Vereinigte Welheim“ in Bottrop, die von 1913 bis 1931 betrieben wurde.
Im „Verzeichnis der auf dem Friedhof in Boyer beerdigten Personen 1899-1920“ ist der Name Josef Blaschek vermerkt mit dem Wohnort Gungstr. 42 und den Informationen „beerdigt am 14.5.19“ und der Nummer des Grabes 18 (Signatur A IV 5, Nr. 11). Es handelt sich um den Alten Boyer Friedhof in Bottrop-Boy, heute eine Parkanlage, die von der Gungstraße begrenzt wird.
Die freiwillige Sanitätskolonne des Roten Kreuzes Bottrop-Boy übernahm es nach den Recherchen von Waldemar Jähme (1984), um bei Beerdigungen den teuren Leichenwagen zu sparen, im Stadtteil Boy den Transport von Leichen vom Sterbehause bis zum Friedhof mittels Tragbahre kostenlos durchzuführen. Ins Haus Gungstr. 42 – Eigentümer war Mathias Stinnes, Essen – zog die Familie Talhoff ein, wie das Bottroper Adressbuch von 1930/31 ausweist:
Talhoff August, Bergmann, Am Kämpchen 22.
– Gertrud, Arbeiterin, Gungstr . 42.
– Johann, Bergmann, Gungstraße 42.
– R., gb. Koloczek, Ww., Gungstr. 42.
– Wilhelm, Gungstraße 42.“ ein.
Die Errichtung der Zeche ,,Welheim“, Bottrop (Stinneszeche), war 1910/14 erfolgt. 1927 gehörte sie zum „Mülheimer Bergwerks-Verein“ (B), wurde 1931 an „Mathias Stinnes“ verpachtet und stillgelegt. Welheim ist zudem die ehemalige Zechensiedlung im Osten der Stadt Bottrop (Welheimer-/Gungstraße) an den Stadtgrenzen zu Essen. Man hatte sie in den Jahren 1913/14 bis 1923 für die Arbeiter errichtet, im Zuge der Inbetriebnahme der damaligen Zeche „Vereinigte Welheim“.

Marta Blazek mit ihren Kindern Theresia, Franz und Änne, 1915.

Das traurige Ereignis von 1919 wurde wie so oft nicht weitergegeben. Zurück blieben die Ehefrau Marta und die Kinder Änne, Anneliese und Franz. Die Tochter Theresia war bereits mit nur neun Jahren am 9. September 1915 verstorben. Fehlende Absicherungen führten zu einer großen Wanderschaft der traurigen und mit Existenzängsten belegten Familie. Die Reise der Witwe Marta Blazek endete schließlich im niedersächsischen Celle, wo sie 1950 starb. Sie und ihr Mann waren 1895 aus Westpreußen als so genannte „Ruhrpolen“ der Arbeit wegen ins Ruhrgebiet gekommen und hatten in Gelsenkirchen eine erste Heimat gefunden. Josef Blazek hatte polnische Wurzeln, der Name wurde eingedeutscht.

Marta und Josef Blazek mit den Kindern Änne und Franz. 1917 kam dann noch die Tochter Anneliese zur Welt.

Zechenunglücke waren leider nichts Ungewöhnliches. Sie gelangten auch nicht immer an die Öffentlichkeit. Die „Deutsche Industrie-Zeitung“ berichtete am 2. Mai 1883:
„Unglücksfälle. Auf der Zeche ‚Osterfeld‘ bei Bottrop verunglückten bei der Ausfahrt aus dem Schachte 5 Bergleue dadurch, daß der Maschinenwärter den Förderkorb bis unter die Decke fliegen ließ, wo das Seil sich löste und der Korb auf die Hängebank herunterfiel. Zwei Bergleute wurden getödtet und die drei anderen lebensgefährlich verletzt.“

Ruhrwacht – Oberhausener Volkszeitung, 6. März 1919

Totgedrückt. Ruhrwacht – Oberhausener Volkszeitung, 6. März 1919

Zeche Ewald Fortsetzung, Bergrevier Ost-Recklinghausen, ein Steinkohle-Bergwerk in Oer-Erkenschwick, 6. Juni 1922:
„Von den auf Zeche Welheim Verunglückten wurden 3 Mann zunächst von Hand und sodann 2 außerdem mit 2 Pulmotoren 1 bis 2 Stunden lang beatmet. Alle 3 konnten ins Leben zurückgerufen werden. Die Arbeiten wurden von einem Arzt und Helfern ausgeführt. Von den auf Mathias Stinnes Verunglückten wurden 4 zunächst 1/2 Stunde von Hand und sodann noch mit 2 Pulmotoren im ganzen 3 Stunden beatmet. …“ (Draeger-Hefte, S. 1027)
Der Pulmotor ist ein Notfallbeatmungsgerät, das 1907 von Johann Heinrich Dräger (1847–1917), dem Gründer des Unternehmens Drägerwerk, erfunden wurde.
Ein schwerer Grubenbrand auf der Zeche Ver. Welheim forderte am 25. August 1922 mehrere Menschenleben. Das Feuer ereignete sich in einem Blindschacht. Die Folge waren zwei Tote auf Welheim sowie durch Rauchgasentwicklung fünf weitere Tote auf Mathias Stinnes I/II in Karnap. In der „Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate“ heißt es 1923:
„Von den Mannschaften der Grubenwehren verunglückten in 7 Fällen 7 tödlich, während 9 leichtere Betäubungen erlitten. Hieran ist in erster Linie das Grubenbrandunglück auf Zeche Welheim am 24. August 1922 beteiligt.
Um nach Unfällen von Trägern der Geräte feststellen zu können, ob die Ursache in mangelhafter Beschaffenheit der Geräte zu suchen ist, hat es sich als erforderlich erwiesen, Name und Markennummer des Rettungsmannes sowie Nummer des Geräts bei der Einfahrt im Ernstfalle durch eine Aufsichtsperson oder den Gerätewart feststellen zu lassen und die Geräte verunglückter Leute alsbald durch die Bergbehörde zwecks weiterer Untersuchung zu beschlagnahmen.“ (Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate, Verlag Wilhelm Hertz [Bessersche Buchhandlung], Berlin 1923)

Ruhrwacht – Oberhausener Volkszeitung, 20. März 1919

Ein großes Diebesnest ist ausgehoben worden. Ruhrwacht – Oberhausener Volkszeitung, 20. März 1919

Gemeindeverordneter Jäger (Zentrum) in sein Amt eingeführt. General-Anzeiger vom 27. Mai 1919

Das Gesamtergebnis der Kreistagswahlen im Wahlbezirk Recklinghausen. General-Anzeiger vom 28. Mai 1919

Bottrop 1919 im Spiegel der Tagespresse

Der neue Kreistag des Kreises Recklinghausen. General-Anzeiger vom 29. Mai 1919

Literaturempfehlungen:
Matthias Blazek: Polacy w Westfalii – Polen in Westfalen. Polnische Migration ins Ruhrgebiet zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs, ibidem-Verlag, Stuttgart 2021, S. 144. Heike Biskup: Bottrop – wie es früher war, Bottrop 2001.

Link zum Stadtarchiv Bottrop: https://www.bottrop.de/vv/produkte/dezernat2/41/Stadtarchiv.php

 

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