Vor 90 Jahren endete das erste Engagement der Comedian Harmonists
Vor 90 Jahren, am 28. Februar 1929, hatte die epische Revue „Casanova“ im Großen Schauspielhaus in Berlin ihre Schlussveranstaltung. Seit der Premiere am 1. September 1928 waren die Comedian Harmonists, ein junges Gesangsquintett mit Klavierbegleitung, denen nun eine große Karriere bevorstand, mit dabei gewesen. Sie hatten sich nach nicht einmal einem halben Jahr harter Probenarbeit auf die Bretter gewagt, die die Welt bedeuten.
Was sich 1928 musikalisch in Berlin abspielte, ging wohl an niemandem spurlos vorbei. Die Comedian Harmonists, im Winter 1927/28 gegründet, hatten nach den im Musikgeschäft üblichen Anlaufschwierigkeiten die Herzen der Menschen im Sturm erobert. Ab 1929 gab es ihre Musik dann auch endlich auf Schellack-Platte, der Vorläuferin der Vinylschallplatte, und zwar immer mit einem Lied auf der einen und einem Lied auf der anderen Seite.
Harry Frommermann (1906-1975), Robert Biberti (1902-1985), Asparuch „Ari“ Leschnikoff (1897-1978), Roman Cycowski (1901-1998), Walter Nußbaum, über den so gut wie nichts bekannt ist (immerhin hatte er später erfolglos gegen seinen Rauswurf geklagt), und der Pianist Erwin Bootz (1907-1982) waren die Musiker, die sich nach den ersten Monaten der Probenarbeit und mehreren Umbesetzungen unter dem anfänglichen Namen „Melody Makers“ in Berlin-Friedenau gefunden hatten.
Sie probten im Sommer des Jahres 1928 im Musiksalon der Stummfilmdiva Asta Nielsen (1881-1972) und hatten an einem Augusttag den Künstleragenten Bruno Levy, einen entfernten Verwandten Frommermanns, zu Gast. Der war seinerseits so sehr überzeugt, dass er sie spontan am Fernsprecher dem Berliner Operetten-Produzenten Erik Charell (1894-1974) anpries. „Die sind ja besser als die Revelers, ja, noch nie aufgetreten“, sagte er ihm, vergleichend mit einem damals sehr erfolgreichen amerikanischen Vokal-Quartett.
Der Berliner Varietékönig biss an, und das Sextett fuhr mit seinem Agenten zum Großen Schauspielhaus an der Friedrichstraße, um erneut vorzusingen. Charell zeigte sich begeistert, bot aber zu wenig Gage. Levy lehnte dankend ab und fuhr mit den „Melody Makers“ zum Operettenregisseur Herman Haller (1871-1943) im Admiralspalast, der schriftlich bescheinigte, dass er auf jeden Fall die doppelte Gage bieten würde. So engagierte schließlich doch Charell die jungen Künstler für seine Operette „Casanova“.
Charell sorgte dafür, dass die Musiker eine Abendgage von 16,- Mark für jeden bekamen. Sie sollten als Unterhalter zwischen den Umbauten auftreten und hatten auch eine „Pendelerlaubnis“ – das heißt, sie durften auch anderswo auftreten.
Das erste Bühnen-Engagement stand bereits kurz bevor, die Premiere der Operetten-Revue „Casanova“ im Großen Schauspielhaus war für Sonnabend, 1. September 1928, 19:30 Uhr, vorgesehen. Lediglich mit dem Namen des Gesangsensembles war Erik Charell noch nicht zufrieden. Durch ihn und die Librettisten Rudolph Schanzer (1875-1944) und Ernst Welisch (1875-1941) wurde sogleich der Gruppenname „Comedian Harmonists“ geschaffen und ohne Gegenwehr von den Musikern angenommen.
Als böhmische und venezianische Musikanten gekleidet, sollten die Comedian Harmonists in den Zwischenakten der Operette „Casanova“ von Ralph Benatzky (1884-1957) auftreten.
Schon wenige Tage später, am 18. August 1928, nahm das „Gesangsquintett COMEDIAN HARMONISTS vom großen Schauspielhaus“ erste Plattenaufnahmen für den Lindström-Konzern (Odeon) auf, die aber erst später veröffentlicht wurden: „Ein bißchen Seligkeit“, „Ich hab ein Zimmer, gnädige Frau“, „Ninon“ und „Du hast mich betrogen“. Insgesamt 23 Titel nahmen sie während der sechs Monate währenden Zusammenarbeit mit Erik Charell auf. Am 22. Oktober 1928 erhielten die Comedian Harmonists schließlich auf Anregung von Georg von Wysocki (1890-1973), künstlerischem Leiter bei „Lindström-Odeon“, einen Schallplatten-Jahresvertrag bei der Lindström-Gesellschaft.
Die Premiere der Operette „Casanova“ am 1. September 1928 wurde ein großer Erfolg. In sieben Bildern wurden Episoden aus dem aufregenden Leben des legendären Charmeurs Casanova erzählt. Fünf Monate lang war die Operette nach einem Libretto von Rudolph Schanzer und Ernst Welisch jeden Abend aufs Neue ausverkauft. Auf dem Titel des Verlagsmanuskripts stand: „Musik von Johann Strauß, arrangiert von Ralph Benatzky“. Benatzky hatte für seine Partitur bekannte und unbekannte Kompositionen des Wiener „Walzerkönigs“ Johann Strauss (1825-1899) arrangiert.
„Casanova — Mensch und Operette. So steig’ denn noch einmal empor, du alter Abenteurer, du Held in tausend Liebesschlachten ! Komm heraus, Dachs, aus deinem Bau im dunklen Dux! Erscheine, Sohn von Schauspielern! Selbst Schauspieler, Abbate, Soldat, Fechter, Gelehrter, Musiker, Dichter, Spieler und — peinlich ist’s zu sagen — Falschspieler, Diplomat, Agent, Kuppler, Zauberer, Goldmacher !“
(Der Querschnitt, 1928, S. 742)
Spätestens seit dem Tag der Uraufführung von „Casanova“ war der Name „La Jana“ zumindest allen Berlinern ein Begriff. Die aus Österreich stammende hübsche Tänzerin und Schauspielerin La Jana, eigentlich Henriette Hiebel (1905-1940), wurde in der Operette auf einem Silbertablett nackt auf die Bühne getragen.
Ferner wirkten mit das Orchester des Großen Schauspielhauses Berlin unter der musikalischen Leitung von Kapellmeister Ernst Hauke und als Darsteller Michael Bohnen, Emmy Sturm, Anni Frind, Anny Ahlers, Trude Lieske, Fritz Blankenhorn, Siegfried „Sig“ Arno, Paul Morgan, Wilhelm Bendow, Hermann Picha und weitere sowie die Comedian Harmonists.
„So sangen sie denn, stilgerecht als venezianische, spanische und böhmische Musikanten gekleidet, die Intermezzi zwischen den Akten, die ursprünglich als Orchesterstücke gedacht waren“, resümierte der Comedian-Harmonists-Biograf Peter Czada (1936-1999) in seinem Buch „Comedian Harmonists – Ein Vokalensemble erobert die Welt“ (Hentrich, Berlin 1993).
Die kulturinteressierte Berliner Presse war voll des Lobes über die noch unbekannten Sänger, die sechs Monate lang jeden Tag in der Revue auftraten. Die „Deutsche Tageszeitung“ schrieb: „Eine aparte Spezialität sind die Comedian Harmonists, eine Truppe von Brumm- und Säuselsängern, die Musikinstrumente und Jazzkapelle verblüffend originell imitieren.“ Oscar Bie (1864-1938), Musikkritiker des „Berliner Börsen-Couriers“, lobte: „Eine groteske Sängertruppe, Comedian Harmonists genannt, unterhält uns in den Pausen besonders amüsant mit dem Vortrag spanischer, böhmischer und venezianischer Ständchen im Kostüm, nicht bloß der Tracht, auch der Marianne Stanior, Robert Bibertis ‚Sunshine-Girl‘ Stimme.“
Die Comedian Harmonists begründeten mit ihrem Auftritt als Straßensänger ihren Weltruhm. Innerhalb weniger Monate machten sie sich im Großen Schauspielhaus (dem heutigen Friedrichstadt-Palast), der sich zwischen Schiffbauerdamm und Reinhardtstraße befand, einen Namen. Das Engagement dauerte zunächst bis zum 31. Dezember, wurde aber später bis Ende Februar 1929 verlängert.
Da sie eine „Pendelerlaubnis“ hatten und so auch außerhalb auftreten durften, traten die Comedian Harmonists nebenbei in Nachtlokalen und ab dem 16. Oktober 1928 in Kurt Robitscheks „Kabarett der Komiker“ am Lehniner Platz, der damals wohl angesagtesten Kleinkunstbühne, auf. Im selben Programm waren Trude Hesterberg, Hans Moser, Max Adalbert, Paul Morgan und Willy Rosen zu sehen.
Am 1. März 1929 folgte im Hamburger Hansa-Theater das erste Gastspiel außerhalb Berlins, 14 Tage später, am 16. März 1929, wurde der Vertrag mit Walter Nußbaum – aus heute unbekannten Gründen – gekündigt. Er wurde zunächst durch den 2. Tenor Willi Steiner und wenig später durch Erich Abraham-Collin (1899-1961), einen Freund von Erwin Bootz, ersetzt. Bald darauf ging es für das Gesangssextett auch in andere deutsche Städte, nach Köln und Ende 1929 nach Leipzig.
Nach der Schlussvorstellung von
„Casanova“ am 28. Februar 1929 folgte im Großen Schauspielhaus – nach einem Tag
Umbauphase – die Operette in drei Akten „Der liebe Augustin“ mit Alfred Braun (1888-1978)
und Mady Christians (1896-1951). Im „Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung“
wurde am 27. Februar 1929 angekündigt: „Am Sonnabend, 2. März, 7½ Uhr, findet
im Großen Schauspielhaus die Premiere des „Lieben Augustin“ mit Alfred Braun,
Mady Christians, Trude Lieske, Siegfried Arno, Paul Morgan, Paul Westermeier
und Gustav Matzner in den Hauptrollen statt. Freitag, 1. März, bleibt das
Theater wegen Vorbereitung zur Premiere geschlossen.“