Das „Verbrechen“ von Anneke und Barbara Stehr
Im lüneburgischen Amt Winsen (Luhe) wurden in den Jahren der Regentschaft der Herzogin Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, Prinzessin von Dänemark und Witwe Herzog Wilhelms des Jüngeren, auf dem Schloss zu Winsen (1592–1617) zwischen 1611 und 1614 Hexenprozesse gegen 30 Frauen, die der Zauberei angeklagt waren, geführt. 24, vielleicht etwas mehr, nämlich 26, dieser Frauen und ein „Zauberer“ wurden öffentlich lebendig verbrannt, drei starben bereits während der Folter, wurde aber dennoch den Flammen übergeben, und nur eine einzige Frau wurde von der Anklage, eine Hexe zu sein, freigesprochen. In einem einzigen Jahr, 1612, unterzeichnete Dorothea allein 13 Todesurteile über „Zaubersche“, und indes sie von ihrem Witwenfenster aus der Verbrennung zusah, trachtete sie in irdischer Glückseligkeit, der Fesselung des Satans beizuwohnen. Der Verstand suchte seine Befriedigung, als er des Wahnsinns Spielzeug geworden.
Von Matthias Blazek
Von 1603 bis 1616 ließ die fürstliche Verwandte, die Herzogin-Witwe Hedwig in Harburg, verschiedene „Hexen“ „nach hartem gehaltenen Examen und der Wasserprobe in Moisburg auf dem hohen Berge brennen“.
Es handelt sich hier um einige der letzten Hexenprozesse im heutigen Niedersachsen.
Zwei der Frauen, die in Winsen auf dem Scheiterhaufen endeten, waren die Schwestern Anneke und Barbara Stehr aus Amelinghausen. Wie es dazu kam und was dann mit ihnen passierte, berichtete der Kantor Heinrich Schulz aus Egestorf im „Lüneburger Kreiskalender“.
Demnach zeichnete sich im Jahre 1610 folgendes Bild ab. Um das Herdfeuer im Flett des weiträumigen Bauernhauses saß das Jungvolk von Amelinghausen. Ein geheimnisvolles Getuschel ging durch die Runde. Die große Sau von Ripke Lüders liege schon den ganzen Nachmittag auf dem Rücken, schlüge mit allen Vieren um sich und stelle sich wie toll. Es würde hohe Zeit, den gottvergessenen „Dwerkiekern“ den Scheiterhaufen zu schichten.
Am anderen Morgen begaben sich zwei Männer und zwei Frauen auf dem Weg zur Vogtei, um gegen die Schwestern Stehr wegen Zauberei Klage zu führen. Der Vogt zu Amelinghausen, Lütke Wilkens, nahm ihre Aussagen zu Protokoll.
Michael Otten aus Tadensen sagte aus, er habe ein krankes Kind gehabt. Sieben Wochen habe es weder Tag noch Nacht Ruhe finden können. Dann habe sich Anneke Stehr erboten, ihm von einem Weibe in Lüneburg Hilfe zu holen. Er habe ihr dafür Roggen, Speck, Brot, Honig, Schinken geben müssen, welche Dinge sie, wie sie angegeben habe, der Frau in Lüneburg bringen müsse. Als ihm die Bettelei zu viel geworden sei, habe er „ihr geflucht“ und sie bedroht, er habe wissen wollen, wo das Seinige bliebe, und wollte selbst mit zu dem Weib gehen, was sie aber nicht gewollt habe. Da wäre es besser mit dem Kind geworden.
Daraufhin wurde Anneke Bargmanns vernommen: „Als sie ihre Schafe im Felde gehütet habe, sei Christopher Nymann, der Anneke Stehrs Mann, auf sie zugekommen und habe gedroht: ‚Deine Schwester hat in mein Land gepflüget wie ein ehrloser Sock, und das soll ihr ihren besten Ochsen kosten!’ Darauf sei der Ochse alsbald krank geworden, habe sieben Wochen weder stehen noch gehen können, habe liegend fressen müssen und sei endlich gestorben.“ Sie wolle es eidlich bezeugen.
Nun trat Peter Lüdemanns Frau hervor: „Och wohnte vor 15 Jahren in Oldendorf, da kam mir ein Unglück unter meine Kühe, daß ich keine melkend bekommen konnte und auch sonsten war an den Tieren kein Gedeihen, sondern eitel Ungemach. Da riet mir des Müllers Christopher daselbst Mutter, ich solle doch Anneke Stehrs gebrauchen und der etwas geben, dann würde es wohl besser werden. Das habe ich auch getan und Anneke, auch Barbara Stehrs, ein ums andere gegeben: Speck, Brot, Flachs, Grütze. Da ward es besser mit unseren Kühen.“
Nun machte Ripke Lüders (oder Lührs) seine Aussage. Hier muss vorausgeschickt werden, dass Lüders den Christopher Niemann, Barbara Stehrs Schwager, wegen einer geringen Schuld von einer halben Mark durch den Vogt hatte pfänden lassen wollen. „Darüber erzürnt“, so erzählte Lüders, „hat die Barbara meinem Schweine etwas angetan, daß es wie toll auf dem Rücken gelegen und liegend hat fressen müssen. Gleichwohl aber bat ich die Barbara, das Schwein zu segnen (beisprechen), was sie auch zu dreien Malen tat. Danach ward es besser. Aber nun kam es auf mein Kalb, das Barbara heimlich besehen hatte. Als ich sie herbeiholte, es zu besprechen, hat sie gesagt: ‚Es ist zu spät, sei du nur zufrieden, daß die nichts Ärgeres widerfährt.’ Aber als es dann auch auf meine Kuh hat kommen wollen, da hat sie solches gewehret.“
Zu diesen Aussagen fügte der Vogt als Randbemerkung hinzu, dass die Barbara für das Segnen (Böten) des vorerwähnten Schweins 4 Schilling und ein andermal 2 Groschen bekommen habe. Vor etlichen Jahren habe sie beim Pastor in Embsen als Magd gedient. Er habe ein Weib bei sich zum „Hakelen“ (Hecheln) gehabt. Die sei eine Erzzauberin gewesen und habe unter anderem auch den Herrn Pastor zu Amelinghausen, „Herrn Adam“ (Magister Adam Hoburg), „vergeben“ (vergiftet). Sie sei später zu Winsen verbrannt worden. Barbara wäre damals (1573) jenes Weibes Schlafgesell gewesen und würde wohl die Zauberei von ihr gelernt haben.
Ferner bemerkte der Vogt persönlich im Protokoll (eine Sache, die ihm wohl schon früher zu Ohren gekommen war), der Knecht Heinrich Ties sei mit dem Pflügen eines Stück Landes beschäftigt gewesen, welches zu seines Bruders Hof gehöre. Dieses Land habe früher Anneke Stehrs Mann (Niemann) unter dem Pflug gehabt, und da Anneke darüber erzürnt war, dass Ties ihrem Mann das Land weggenommen habe, so habe sie gegen ersteren eine Drohung ausgestoßen, die sich in schrecklicher Weise erfüllt habe. Ties sei von einer jämmerlichen Krankheit befallen und an Leib, Händen und Füßen so hart geplagt worden, dass ihm nicht anders zu Sinn gewesen, als läge ihm der Pflug im Leibe, und müsse er, auf dem Rücken liegend, von seinem Hause auf seines Nachbarn Feld kriechen. Er habe sich unsäglich bemüht, den Pflug abzuwerfen, habe es aber nicht vermocht. Als so Heinrich Ties todkrank gelegen habe, habe Hans Müller die beiden „Zauberschen“ in ihrem Hause aufgefordert, hinzugehen und sich mit ihrem Widersacher zu vertragen, ehe denn er sterbe, doch sie hätten erwidert, dass sie beide nicht kommen könnten.
Das Gerichtsprotokoll, so fuhr der Vogt fort, würde später das Nähere dartun, wenn vor dem öffentlichen Landgericht in Winsen über diesen Fall die Aussagen gemacht worden seien. Eine schlimme Sache könne auch die Meyersche von Raven bezeugen, doch wäre er, der Vogt, nicht befugt, sie zu vernehmen, da sie zur Vogtei Garlstorf gehöre.
Aufgrund dieser Aussagen wurden vom Amtmann Kahrstedt zu Winsen neun Fragen formuliert, welche den beiden Schwestern vorgelegt werden sollten. Die Vernehmung begann mit der älteren Schwester Anneke. Sie wurde zuerst „gütlich“ befragt, und da dieses Verhör nicht den erwünschten Erfolg hatte, wurde unverzüglich zur „peinlichen“ Befragung geschritten, und unter den Qualen der Folter bekannte die arme Frau alles, was man zu hören wünschte. Daraufhin wurde sie sofort vom „Meister“ auf seinem Karren zur Stadt hinausgekarrt und auf dem Richtkamp auf den Holzstoß gebunden, und die Lohe ihres Scheiterhaufens erhellte für einige Stunden die Winternacht.
Inzwischen befand sich die jüngere, noch unverheiratete Schwester Barbara noch im Gefängnis zu Winsen. Von der Folterkammer her hörte sie das Wimmern und Flehen ihrer gequälten Schwester. Dann war Ruhe in den Gefängnisräumen. Nach Stunden qualvollen Wartens wurde sie ihrem Richter vorgeführt.
Die „bezichtigte“ Barbara Stehrs wurde zunächst „gütlich“ befragt. Sie bekannte auf die entsprechenden Fragen: „Ja, bött hew ick und heff dat Böten lehrt von Alheit Heitmann in Dehns – de Fro in Lünborg is dod – von Peer Lühmanns Fro in Olndörp heff ick lütt bet’n Flaß und dree Eier kregen. – De Lühmannsche hett min Swester fragt, off se in Amelinghusen ok woll Glück hebb’n wörden, wenn se darhen trecken dähn. – Ripke Lüders sin Swin heff ick bött. – Dat Wief in Embsen, de bi’n Pastorn häkel, wör ut Winsen un is verbrennt, da weet ick woll. Ich heff von ehr lehrt. Wieger weet ick nicks. Ick heff keen een wat Leegs andan.“
In den Prozessakten heißt es: „Den 9 Feb: Ao 1611 ist die Bezichtigte Barbara Stehers guedtlich gefragt worden und / Bekandt, das sie geboetet vnd habe es vor 7 Jahren von einer frauwen zu Denste gelernet. / Bekandt die frauwe zu Lbrg. ist todt, / Knocken flachs vnd 3 eyer hefft ihr Peter Lindemans frauwe zu Oldendorff, / Bekandt, das die Lumansche zu ihrer Schwester gangen vnd gefragt, ob sie auch zu Amlinghusen solte guet gelucke heben, / Bekandt das sie Ripken Luders zu Amlingkhusen Schwin geboetett, / Bekandt, das weib zu Embsen dar sie bei den Pastorn gedient ist aus der Stadt vorgetogt vnd gebrandt das weiß sie wol.“
Dieses Geständnis genügte den Richtern nicht. Man schritt daher zur ultimo ratio, zum letzten Mittel. Rohe Henkersfäuste schleppten die Angeklagte hinaus zur Folterung, gefolgt von dem Amtmann, seinem Schreiber und dem „Meister“. Die Folterkammer befand sich wahrscheinlich in jenem Kellergewölbe des Schlosses, das heute noch von der Südseite durch eine Tür zu erreichen ist. Im Dämmerlicht des unheimlichen Gemachs blinkten im Hintergrund die Folterwerkzeuge. Vorn zur Seite verbreitete ein kleines grün schimmerndes Fenster gerade soviel Licht, als Schreiber und Amtmann zur Ausübung ihres traurigen Geschäftes nötig hatten. In der Mitte wurde die Angeklagte auf der Folterbank festgeschnallt.
Über das nun folgende „peinliche“ Verhör liegt ein doppeltes Protokoll vor, das eine offenbar die Kladde, nach dem, was der zu Gericht bestellte Schreiber unmittelbar niederschrieb von den unzusammenhängenden, abgerissenen Sätzen, Worten und Verwünschungen, die die Tortur aus dem gequälten Leib hervor trieb, das andere in Reinschrift. Sie beginnt mit folgenden Worten:
Den 9. Februari anno 1611 ist Barbara Stehrs von Amelinghausen wegen ihrer beargwohnten Zauberei gütlich befragt und hat nicht geständig sein wollen, daß sie eine Zaubersche wäre, wüßte auch nichts von der Zauberei denn die 3 Worte Gottes beim Böten: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiliges Geistes. Wie sie nun nichts mehr in Güte hat bekennen wollen, ist sie peinlich mit den Beinschrauben von dem Meister angegriffen, befragt und hat nachfolgender Art bekannt.
Wohlgeordnet nach Art der „Delikte“ sind in 37 Punkten die „Geständnisse“ von Dingen aufgezeichnet, die die Unglückliche bei den Beinschrauben in der Folterkammer bekannte, die sie aber niemals begangen hat. Als des Ripke Lüders Sau alle Viere von sich streckte und einging, war Barbara schuldig, sie hatte Kühe, Ochsen und Schafe vergiftet, den Hafer auf dem Halm verdorben und ein Kind, das bei ihrem Schwager in Pflege war, mit Pulver in der Milch umgebracht, als das Pflegegeld nicht mehr gezahlt wurde!
Der Sprache des „Hexenhammers“, jenes berüchtigten Lehrbuches zur Überführung von Hexen, entstammten die Sprüchlein, mit denen Barbara Stehr sich des Umgangs mit dem Bösen bezichtigte. Ihr Buhle sei ein Jungkerl gewesen und habe einen roten Bart, schwarze seidene Kleider mit blanken, güldenen Knöpfen und einen linken rugen Hundefuß gehabt. Sie hätte mit ihrem Buhlen, der Hans geheißen, am Donnerstag in den Karten gespielt. Sie hätte drei, er vier Blätter gehabt. Er hätte gewonnen und ihr oft Geld gegeben, beizeiten halbe Taler, beizeiten zwei Schillinge und einen Schilling. Ihr Buhle hätte ihr Pulver gebracht, wozu er schwarze Hahnen und Hahnenfedern, quade Poggen und Lindwürmer genommen, welche er in seinem Namen auf dem Herde zu Pulver gebrannt und auf dem Holze klein geklopfet … Wenn sie nach dem Blocksberg gewollt, so hätte sie sich mit schwarzer Salbe den ganzen Leib beschmieret und hätte sich auf ihren Kumpan, der schwarz gewesen und drei Füße gehabt, gesetzt, und wäre durch ein Loch bei der Missentür in des Teufels Namen dahingefahren. Auf dem Blocksberg hätten sie Ochsenfleisch gegessen und Lüneburger Dreilingsbier aus Gläsern getrunken und hätten einen jungen Spielmann mit einem Hummelken (altes Streichinstrument mit Dudelsack) und einem schwarzen Bahrtuch gehabt. Sie hätten auf dem Blocksberg zu Tisch gesessen, darunter wären ihre verbrannte Schwester Anneke und Grete Schmedes aus Gellersen gewesen; desgleichen Alheit, Lütke Hoyers Frau von Schwindebeck.
Die Geständnisse mögen im Einzelnen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie langweilig wirken, nur mit Änderung der Wortschreibweise hier erfolgen:
1. „Saget, ihr Buhle [Liebhaber, hier aber der Teufel] hieße Hans.“
2. Saget, das Weib, so sie zu dem Buhlen gebracht, hieße Gesche Olderlands und habe gewohnt zu Lüneburg bei der Kämmerei und ist nun tot. Diese habe sie vor 9 Jahren an einem Donnerstagabend zu Amelinghausen in ihres Vaters Hause zu ihm gebracht.
3. Der Buhle sei ein Jungkerl gewesen und habe einen roten Bart, schwarze seidene Kleider mit blanken güldenen Knöpfen und einen linken rugen Hundefuß, einen weißen Hut mit schwarzem Band und Silberbeschlag, darauf drei weiße Kronsfedern gestecket gehabt.
4. Saget, ihr Buhle wäre in ihres Vaters Hause, wie er noch gelebt, bei ihr gewesen und hätte ihr einen halben Taler gegeben und zugesagt, er wolle sie nehmen und wäre oft in der Woche zu ihr gekommen.
5. Sie hätte mit ihrem Buhlen am Donnerstag in den Karten gespielet. Sie hätte 3, er 4 Blätter gehabt. Er hätte gewonnen und hätte ihr oft Geld gebracht, beizeiten halbe Taler, beizeiten 2 Schilling und 1 Schilling.
6. Das Geld hätte er aus Sarstedten Hause und aus dem güldenen Stürer in Lüneburg geholt.
7. Saget, ihr Buhle sei auf einmal zu ihr ins Gefängnis gekommen und habe mit ihr gebuhlet und wäre die Natur kalt gewesen.
8. Bekennet, ihr Buhle hätte ihr Pulver zugebracht, so rot gewesen, wozu er schwarze Hahnen und Hahnenfedern, quade Poggen und Lindwürmer genommen; welche er in seinem Namen auf dem Herde zu Pulver gebrannt und auf dem Holze kleingeklopfet.
9. Sie hätte zu ihrer Schwester Mann, Christoph Niemann zu Amelinghausen eine fahle Kuh umgebracht, indem sie derselben das Pulver aufs Gras gestreuet, darum, dass er sie oft geschlagen.
10. Jürgen Meyer zu Amelinghausen hätte sie eine rotfahle Kuh mit weißem Kopf umgebracht, darum, dass sie ihm zu nahe beim Korn gehütet.
11. Lütgens Ties zu Amelinghausen hätte sie eine rotbunte Kuh vor 3 Jahren auf dem Grase umgebracht, darum, dass er sie mit einem Stock geschlagen, als sie ihm vor dem Winterroggen gehütet.
12. Gerbert Rüther daselbst hätte sie ein stark Hengstpferd in der Lopau durch ihren Buhlen versaufen lassen, darum, dass er sie geschlagen, weil sie mit dem Vieh allda gehütet, wo er seine Pferde hätte tränken wollen.
13. Thies Niemann, ihre Schwestermannes Bruder zu Amelinghausen hätte sie eine rotbraune Kuh auf dem Grase vergeben (vergiftet), darum, dass er sie eine alte Kachel gescholten.
14. Heinrich Ehlbecken zu Amelinghausen hätte sie eine rotbraune Kuh auf dem Grase vergeben, weil er oft mit ihr gezanket, dass sie allda mit ihren Kühen gehütet, da er mit den Schaden hätte hüten wollen.
15. Karsten Bergmann auf dem Meyerhofe daselbst hätte sie eine rote Kuh auf dem Grase vergeben, darum, dass er mit seinen Pferden allda gehütet, wo sie gern mit ihrem Vieh hätte hüten wollen.
16. Ihrer Schwester Mann Christoph Niemann zu Amelinghausen hätte sie eine rote Sau und ein weiß Borgschwein vor 2 Jahren nacheinander im Tranke vergeben, darum, dass er sie oft geschlagen.
17. Jürgen Meyer zu Amelinghausen hätte sie ein rothaarig Kuhkalb auf dem Felde vergeben, darum, dass er sie gescholten, weil sie ihm zu nahe am Winterroggen gehütet.
18. Helmke Niemann, ihrer Schwester Mannes Bruder zu Amelinghausen hätte sie ein rotschimmelt Pferd auf dem Häckerling vergeben, dass er oft mit ihr gekeifet.
19. Karsten Bergmann zu Amelinghausen hätte sie einen rotbunten Ochsen im Winter auf dem Hofe vergeben, darum, dass er ihren Schwager Christoph Niemann etliche Furchen Ackers beim Allernhofe abgepflüget.
20. Hans Rüther zu Amelinghausen hätte sie einen roten Ochsen auf dem Grase vergeben, darum, dass er mit ihr gezanket, weil sie ihm einen Sack voll Gras zu nahe abgeschnitten.
21. Hans Bergmann zu Dehnsen hätte sie einen roten Ochsen auf dem Grase vergeben, darum, dass er ihrem Schwager Christoph Niemann einen Scheffel Roggen verkauft und ihn nicht herausgeben wollte.
22. Anneke Schmedes zu Sottorf hätte sie eine rote Kuh auf dem Grase vergeben, darum, dass dieselbe ihrem Schwager nicht pflügen wollte.
23. Anneke Schmedes hätte sie ein weiß Borgschwein mit Schüsselwasser vergeben, weil sie ihr das Essen und das Stück Fleisch nicht hätte geben wollen, welches sie dafür begehret, dass sie der Anneke Schmedes zur Hochzeit gedienet.
24. Hartwig Krüger zu Rehlingen hätte sie einen roten Ochsen auf dem Grase vergeben, weil er ihrem Schwager Christoph Niemann den zugesagten Scheffel Rüben nicht hätte geben wollen.
25. Hans Brüggemann zu Etzen hätte sie ein rot Ochsenkalb im Tranke vergeben, darum, dass er ihrem Schwager für das abgekaufte Kalb nicht soviel hätte geben wollen, wie er ihm zugesagt.
26. Wiebrecht Stedingen zu Etzen hätte sie eine rote Kuh auf dem Grase vergeben aus Ursache, weil er ihrem Schwager Christoph nicht soviel Holz hätte tun wollen, als er begehret.
27. Magdalena Hoyers, eine Bademutter aus Lüneburg, hätte vor 5 Jahren ihrem Schwager Christoph Niemann ein klein Kind gebracht. Dafür hätte Jürgen Meyer, ein Höker bei den Schrangen in Lüneburg, ihm jährlich 10 Mark zur Zehrung zugesagt. 2 Jahre hätte ihr Schwager das Geld bekommen. Als Jürgen Meyer aber das dritte Jahr das Geld nicht hatte ausgeben wollen, hätte sie das Kind mit Pulver in einer Büchse Milch vergeben und es sei vor zwei Jahren gestorben. Des Kindes Mutter hätte Liesbeth geheißen und wäre hernach von Lüneburg gen Hamburg gezogen. Wer aber des Kindes Vater gewesen, wüsste sie nicht.
28. Vor 4 Jahren hätte sie mit vorbemeldetem Pulver eine alte Frau, Dorothea Müllers zu Oldendorf, in ihres Schwagers Hause in einem Pott mit Bier an einem Sonntagmorgen vergeben, darum, dass sie ihr eine leinene Mütze zugesagt und nicht geben wollen. Die Frau hätte eine Zeitlang gequimet und wäre hernach gestorben.
29. Greten, Peter Hedders (oder Herders) Frau zu Dehnsen, hätte sie vor 3 Jahren auf dem Butterbrot vergeben, darum, dass sie ihr einen Scheffel Rüben, welchen sie sich mit Mühe an einem Polster verdienet, nicht habe geben wollen.
30. Lütke Ties zu Amelinghausen hätte sie vor 5 Jahren auf dem Butterbrot vergeben, darum, dass er ihren Schwager angereizet, dass er sie hätte schlagen sollen.
31. Jürgen Meyer zu Amelinghausen hätte sie vor 2 Jahren ein Stück mit Hafer verderben lassen, weil er mit ihr gekeifet.
32. Häkelmaker Niemann zu Amelinghausen hätte sie ein Stück mit Hafer vor 2 Jahren in des Teufels Namen auf dem Allerhofe verderben lassen, weil er sie hätte schlagen wollen.
33. Sagt, sie hätte zweimal in einem Jahr einen Eichbaum vor dem Dorfe
34. mit Wollgarn besponnen, weil keine Mast (Eicheln) kommen sollten.
35. Wenn sie nach dem Blocksberg gewollt, so hätte sie sich mit schwarzer Salbe den ganzen Leib beschmieret und hätte sich auf ihren Kumpan, der schwarz gewesen und drei Füße gehabt, gesetzt, und wäre durch ein Loch bei der Mistentür in des Teufels Namen dahin gefahren.
36. Auf dem Blocksberg hätte sie Ochsenfleisch gegessen und Lüneburger Dreilingsbier aus Gläsern getrunken und hätte einen jungen Spielmann mit einem Hummelken (Dudelsack) und einem schwarzen Bahrtuch gehabt.
37. Sie hätten auf dem Blocksberg um 1/2 4 zu Tische gesessen, darunter wäre ihre verbrannte Schwester Anneke und eine Frau Grete Schmedes, welcher Mann ein Zimmermann, der von Sottorf nach Gellersen gezogen, gewesen. Ingleichen Alheit, Lütke Hoyers Frau von Schwindebeck, welche sich zu Schwindebeck oder Evendorf aufhalte.
Wenn den Anwesenden noch ein menschliches Herz im Busen schlug, dann müssen sie Gott gedankt haben, dass sich nicht noch mehr „Geständnisse“ aus dem zermarterten Hirn der Wahnsinnigen lösen ließen.
Das Ergebnis der Befragung genügte vollauf. Wer die 37 Punkte des Protokolls liest, könnte fast den Eindruck gewinnen, als sei das Schuldbekenntnis in aller Ruhe und Gefasstheit dem Schreiber in die Feder diktiert. Denn die „Untaten“ treten sogar nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet, als begangen an Vieh, an Menschen, an Feldfrüchten und am Hexensabbat auf dem Brocken, vor die Augen.
Allein die unmittelbar bei der Tortur gemachte Niederschrift, die Kladde, sieht anders aus. Die dort verbuchten, in abgerissenen Sätzen gemachten wirren Aussagen, aus denen man die Angstschreie der Gequälten herauszuhören vermeint, spiegeln in erschütternden Bildern den rechten Seelenzustand des armen gefolterten Menschenkindes wider. Der Verfasser muss es sich versagen, davon einige Beispiele zu geben, damit die Nervenkraft der Leser nicht allzu sehr auf die Probe gestellt wird.
Das Protokoll war sofort an den Vogt zu Amelinghausen gesandt, der die Punkte 9 bis 34 auf ihre Wahrheit mit Zuziehung der angegebenen Zeugen zu prüfen hatte. Erhalten sind auch diese Aufzeichnungen. Aus der Sicht von drei Jahrhunderten gesehen: Es war Klatsch, Verdächtigung und Missgunst, wie sie auch heute umgehen unter Menschen; hier hervorgegangen aus einem Streit der Familien Niemann und Lüders, weil Niemann einen geringen Schuldbetrag nicht zurückzahlen konnte, den er von Lüders geliehen hatte.
Die Punkte des Protokolls, in denen Barbara Stehr die Gepflogenheiten des Umgangs mit ihrem „Buhlen“ offenbart hatte, wurden nicht nachgeprüft. Das Kauderwelsch der dogmatisch Eifernden, das in die Hütten der Bauern und Kötner drang, zog massenhaft die halbfertigen Vorstellungen herbei. Es wurde zu guter Letzt nicht mehr gestritten, woran ein Schwein zugrunde ging; es kam von der „Buhlschaft der Hexen“.
Schnell wurde der Prozess gemacht. Bereits am folgenden Tage wurden die Zeugen, 15 an der Zahl, auf die Vogtei gerufen. Ihre Aussagen stimmten im Großen und Ganzen mit denen der „Zauberschen“ überein. Nur bei einigen Punkten ergaben sich geringe Abweichungen. So sei bei Punkt 9 die Kuh nicht rot, nicht fahl, bei Punkt 21 der Ochse schwarzbunt, nicht rot gewesen. Punkt 28 sei nicht vor 4, sondern vor 7 Jahren, Punkt 29 nicht vor 3, sondern 10 Jahren, Punkt 30 nicht vor 5, sondern vor 3 Jahren geschehen, und Punkt 34 habe sich nicht vor dem Dorfe, sondern am Wege zwischen Amelinghausen und Wetzen zugetragen. Nur auf Punkt 23 wussten sich die Leute nicht zu besinnen.
Ein reitender Bote brachte umgehend das Ergebnis der Zeugenvernehmung nach Winsen. Das Todesurteil wurde gesprochen, und schon am folgenden Tag, am 12. Februar 1611, wurde Barbara Stehr vom Scharfrichter zur Stadt hinausgekarrt und öffentlich bei lebendigem Leibe verbrannt.
Mit ihr zusammen wurde noch eine tote „Zaubersche“ auf den Scheiterhaufen gelegt, und zwar Engel Bruns aus Pattensen. Sie sei eine „ganz Hartnäckige“ gewesen, hätte trotz heftigsten Folterns „nichts Rechtes“ bekennen wollen und sollte am folgenden Tag wiederum „peinlich und gründlich examiniert werden“. Aber dazu hatte sie es nicht kommen lassen wollen, sondern hatte am Morgen des Richttages durch Aufschlagen ihres jugendschönen Hauptes auf den Fußboden des Kerkers selber ein Ende bereitet, um der letzten Qual zu entgehen. Den Leichnam zerrte man über den Holzstoß und verbrannte ihn mit, dass die Gerechtigkeit ihr Siegesdenkmal habe. Den Umstehenden verging das Grauen; sie duckten sich unter der Angst vor dem Kommenden und horchten bedrängt an den folgenden Sonntagen den eifernden Kanzelworten, die da Folgen für Zeit und Ewigkeit ansagten, so einer die Wege Gottes verlassen und sich dem Bösen in die Hände gebe.
Am Morgen des 13. Februar 1611 trat Fritz von dem Berge, fürstlicher Hauptmann in Bleckede und herzoglicher Vogt von Bardowick und Lüdershausen, breitbeinig und schwer, zu seiner Herrin, der Herzogin Dorothea von Lüneburg-Celle, auf dem Schloss zu Winsen ins Geheime Kabinett. Um das morgenfeuchte Lederkoller war noch der Brandgeruch des Scheiterhaufens, der in dieser Nacht vor der Stadt in den trüben Winternebel geflammt und im Morgengrauen verschwelt war. Vergangen war im Flammensang Gebet und Wimmern der Barbara Stehr aus Amelinghausen, die als Hexe nach ordentlichem Gericht und Folterung verbrannt worden war.
Fritz von dem Berge war gekommen, um von seiner Herzogin zu fordern, dass dem Unfug ein Ende gemacht werde. Die weißhaarige Frau hörte ihrem Vogt aufmerksam zu, und manches mochte sie in ihrem Herzen bewegen. Allein die Schlüssigkeit der Verheißungen war stärker als die mütterliche Regung in der Brust. Es war „Endzeit“, und mit der Hoffnung auf das „Tausendjährige Reiche“ hatte die Vernichtung der bösen Mächte in der Welt angehoben. Die Fackel der Scheiterhaufen erhellte den Weg der „Wiederkehr des Messias“ und zur ewigen Seeligkeit der Frommen in dem auf die Erde herabgestiegenen „himmlischen Jerusalem“. Der Hauptmann verrichtete nichts bei der hohen Frau, und mit den hallenden Schritten durch die langen Gänge des Schlosses ging sein Urteil: „Dat was een bitterbös Wief.“
Am folgenden Sonntag lasen die Besucher des Gottesdienstes an der Kirchentür oder hörten aus dem Munde des Pastors von der Kanzel, was sich in Winsen zugetragen hatte, nicht ohne die Warnung folgen zu lassen, jedem werde es so ergehen, der sich dem Teufel verschreibe.
Wir sind viele Jahre entfernt von jenen Hexenprozessen, denen hundert Jahre nach der Reformation und hundert Jahre vor der Aufklärung zahlreiche Frauen, zumeist junge, zum Opfer fielen, aus den Dörfern rings in der Heide, von Bispingen bis Lassrönne. Es werden heute keine Hexen mehr gebrannt, aber Einfältigkeit und Verblendung, aus denen solche Prozesse geboren wurden, sind noch nicht ausgestorben. Zwischen brechenden Schollen und Lavastürzen fühlt sich heute der Mensch als verkrümeltes ängstliches Nichts, und Massenurteile wollen seinen Sinn betäuben. Es wird gefragt, ob es noch Hexenglaube gebe in der Heide. Es gibt ihn nicht und es gibt ihn doch, überall dort, wo vor dem Getöse die feinen Klänge im Ohr verhalten.
Es ist etwas anderes mit der in Niederdeutschland eigentümlichen Gabe des zweiten Gesichts, des „Spökenkiekens“. Die Zahl derer, die diese bedrückende und doch geheiligte Gabe tragen, wird immer geringer, in demselben Maße, wie ländliche Arbeits- und Lebensgebräuche schwinden. Was heute laut mit dem „zweiten Gesicht“ operiert, ist meist Missbrauch und Entartung der weithin unerforschlichen Bildekräfte der Natur. In den mittelalterlichen Teufelsvorstellungen und im Hexenwahn aber sollten wir nichts anderes sehen als Formprobleme für die permanente Auseinandersetzung, die die Menschen mit ihrem eigenen Schicksal zu führen haben.
Quellen:
NLA-HStA Hannover Celle Br. 44 Nr. 273 (1588)
NLA-HStA Hannover Hann. 74 Winsen/Luhe Nr. 929 (1611)
Heinrich Schulz: „Anna und Barbara Stehr von Amelinghausen“, in: Lüneburger Kreiskalender, Nr. 2, Lüneburg 1930, S. 77
Richard Krüger: „Das Verbrechen der Barbara Stehr“, Aufsatz in: Beilage zum Burgdorfer Kreisblatt/Lehrter Stadtblatt „Unser Kreis“ vom 5. Mai 1951
Brigitte Hense u. a.: Chronik Amelinghausen 1293-1993, Amelinghausen 1993, S. 309 ff.
Matthias Blazek: Hexenprozesse – Galgenberge – Hinrichtungen – Kriminaljustiz im Fürstentum Lüneburg und im Königreich Hannover, Stuttgart 2006, ISBN 3-89821-587-3
Günther Hagen: Geschichte aus Stadt Winsen an der Luhe, Winsen 1978, S. 48 f.
Die drei Bildnisse: „Winsener Weibsbilder“, Wahlpflichtkurs Kunst Klasse 10, Johann-Peter-Eckermann-Realschule Winsen (Luhe), 2004/05. Fotos: Christa Lemcke. Abbildung mit freundlicher Genehmigung
Info:
In Gerresheim (heute ein Stadtteil von Düsseldorf) wurde noch 1737 ein Hexenprozess gegen Helene Mathilde Curten eingeleitet. Die Angeklagte soll verurteilt und hingerichtet worden sein. Helene Mechthild Curten soll am 15. oder 19. August 1738 in Gerresheim verbrannt worden sein. Ihr Vater: Kirchmeister Casimir Curten, Heirat in Gerresheim am 13. September 1687, ihre Mutter: Elisabeth Jager, am 8. Oktober 1729 im Kindbett gestorben. Helene Mechthild Curten wäre damit die letzte Hexe, die in Deutschland verbrannt worden ist.
Die Schweizerin Anna Göldi war 1782 eins der letzten Opfer des Hexenwahns. Die Dienstmagd wurde am 13. Juni 1782 in Glarus mit dem Schwert geköpft. Diese Angaben werden bestätigt in: Schlözer’s Stats-Anzeigen, II. Band, 7. Heft, Göttingen 1783, S. 273-277.
Letzte Hexenverbrennungen fanden in Spanien 1781 und 1793, im letzten Jahr des katholischen Königreichs Polen, in der zukünftig preußischen Provinz Posen statt. Während der preußischen Besetzung Großpolens 1793 wurden in der Gegend um Posen in einer nicht näher bekannten Ortschaft zwei Anklagen wegen Hexerei gegen Frauen vor Gericht gebracht. Der Grund für die Anklagen war lediglich, dass sie rote Augen hatten und das Vieh in der Nachbarschaft ständig krank gewesen sein soll. Wilhelm G. Soldan und Heinrich Heppe („Geschichte der Hexenprozesse“) schrieben in ihrer grundlegenden Arbeit „Ohne Zweifel war das der letzte gerichtliche Hexenbrand […], den Europa im achtzehnten Jahrhundert gesehen hat“. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Prozess wirklich stattfand. Informationen darüber stammen nur aus einer und zudem recht unsicheren Quelle. Es war jedoch mit Sicherheit nicht die letzte „gerichtliche“ Behandlung von Hexerei.
Jene Frau, die als „letzte Hexe“ Europas 1782 im Schweizer Kanton Glarus hingerichtet worden war, wird nun offiziell rehabilitiert. Der Regierungsrat des Kantons will Anna Göldi vom Tatbestand der Vergiftung entlasten. Zugleich wird festgehalten, dass die Frau im Prozess vom Juni 1782 Opfer eines „Justizmordes“ geworden sei.
Noch im Jahr 1811 wurde in der Stadt Rößel in Ostpreußen eine Frau wegen eines Verbrechens verbrannt. Barbara Zdunk hatte angeblich 1806 die halbe Stadt angezündet (die am 27. und 28. Mai niederbrannte) und ist dafür 1811 von der preußischen Justiz verurteilt und am 21. August des Jahres verbrannt worden. Weiteres darüber lies: de.wikipedia.org
Literatur:
Wolfgang Petz: Die letzte Hexe, 2007.
Walter Hauser: Der Justizmord an Anna Göldi, 2007.
Wilhelm G. Soldan; Heinrich Heppe; Sabine Ries (Bearbeiterin): Geschichte der Hexenprozesse, neu bearbeitet, 1986, Nachdruck der 3. Auflage (1999).