Francesco Guizetti (1678-1736), ein junger Italiener, gründet 1696 älteste Wachsbleiche und Kerzenmacherei Norddeutschlands – Herzog Georg Wilhelm entdeckt 18-jährigen Kerzenzieher auf einer seiner Norditalienreisen

Der Celler Herzog Georg Wilhelm holte 1696 den Italiener Francesco Guizetti nach Celle. Der 18-Jährige sollte eine Wachsbleiche „nach Italienischer Methode“ errichten.

Ehrenfahnenträger der Wachsbleicher und Wachslichtermacher. „Um das Andenken eines Kaisers zu ehren, dem Deutschlands Handel und Gewerbe Schutz, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs verdankte“, nahmen die Zünfte aller großen Städte Deutschlands so genannte Ehrenfahnen auf, welche bei feierlichen Aufzügen jedem Gewerk vorgetragen wurden. Handkolorierte Lithographie nach einer Zeichnung von Carl Heideloff (9,3 x 6,4 cm), Nürnberg 1834. Digitale Sammlung Blazek

Unter der Wachsbleiche versteht man das Verfahren, mit dem man dem ursprünglich dottergelben Bienenwachs ein weißes bis elfenbeinartiges Aussehen gab, bevor aus dem Bleichwachs weiße Kerzen hergestellt werden konnten. Der Wachszieher Xaver Greiner in Eichstädt schreibt 1865 über das Wachsbleichen in der Bienen-Zeitung: „Dieses Geschäft wird wohl in ganz Deutschland auf gleiche Weise gehandhabt und überall durch das Sonnenlicht und die Sonnenwärme bewirkt. Die einfache Bleichmethode zerfällt in 2 Hauptmanipulationen: nämlich in das Schmelzen des Wachses und in das Aussetzen desselben an die Sonne. Durch das Schmelzen wird das Wachs von Schmutz und Unrath gereinigt und erhält eine größere Härte und Consistenz. Die 2. Hauptmanipulation hat zur Aufgabe, daß das Wachs in möglichst dünner und ausgebreiteter Form dem Sonnenlichte ausgesetzt wird; denn dieses zerstört den Farbestoff des Wachses und verschafft ihm wieder seine ursprüngliche weiße Farbe. Je öfter diese beiden Manipulationen wiederholt werden, desto weißer und feiner wird das Wachs.“

Weiße Wachslichter wurden nur von vornehmen und reichen Leuten bei „Festivitäten“ gebraucht. Es heißt, dass jeder Hof fast seine eigene Wachsbleiche hätte, woraus die „vornehmsten Bedienten“ versorgt würden.

Mit Wachs wurden Textilien wasserdicht imprägniert.

Herzog Georg Wilhelm (1624-1705), einer der berühmtesten Celler Herzöge, der sich unter anderem durch seine Baufreude auszeichnete, war ein großer Freund vom Reisen. Das geht aus Heinrich Christian Heimbürgers Buch „Georg Wilhelm, Herzog von Braunschweig und Lüneburg“ (Celle 1852) hervor. Schon als Prinz ging Georg Wilhelm, der von 1648 bis 1665 Fürst des Fürstentums Calenberg und von 1665 bis zu seinem Tode regierender Fürst des Fürstentums Lüneburg war, nach Holland, um in Utrecht seine Studien fortzusetzen. Regelmäßig führten seine Reisen, teils gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Ernst August, durch fast ganz Italien, aber auch durch andere südliche Länder. Im holländischen Breda, der Sommerresidenz des Hauses Oranien, lernte der reisende Georg Wilhelm die Hugenottin Eleonore d’Olbreuse (1639-1722) kennen, die er 1676 heiratete.

In Georg Wilhelms Regierungszeit wurden italienische und französische Künstler und Bauhandwerker nach Celle. Durch seine intensiven Kontakte nach Italien brachte der Herzog zahlreiche spezialisierte Handwerker, wie Stuckateure und Wachsbleicher, nach Celle. Einer davon war Francesco Guizetti (1678-1736), ein junger Italiener, geboren am 2. Februar 1678 in Solto Collina in der Provinz Bergamo, „dem östlichsten Zipfel der venetianischen terra ferma“. Der Herzog entdeckte den 18-jährigen Kerzenzieher auf einer seiner Norditalienreisen, weil er ihm bei dem Besuch des Bischofs von Bergamo dadurch auffiel, dass er hervorragend Kerzen herstellen konnte. Und Kirchen und fürstliche Höfe benötigten seinerzeit eine Unzahl von Kerzen.

Guizetti eröffnete im Sommer 1696 mit herzoglichem Privileg außerhalb der Stadttore und nördlich der Triftanlagen eine Wachsbleiche und Kerzenmacherei. Heute erinnert ein Straßenname an das Firmengelände westseitig der Speicherstraße 10-14.

Ein derartiger Geschäftszweig hatte bis dahin im Fürstentum Lüneburg gefehlt. Er wurde durch die nach dem Dreißigjährigen Krieg neuen Aufschwung erlebende Bienenwirtschaft gefördert. Bis dahin hatte man das ungebleichte Wachs, eines der hauptsächlichen Handelsobjekte der Celler Gewandschneider, vorwiegend nach Nürnberg ausgeführt und dort gebleicht und zu Kerzen verarbeitet.

Die Guizetti’sche Wachsbleiche blickte am Schluss auf eine Jahrhunderte währende Familientradition zurück. Der älteste Sohn hieß immer Franz. Ein Nachkomme war der Celler Politiker Franz-Georg Guizetti (1901-1982). Bernhard Guizetti mit Ehefrau Maria Louise ist der letzte in Celle wohnhafte Nachfahre.

Die Guizettis blieben mit ihrer Familie in Italien lange in Verbindung. Noch 1751 bezogen sie vom Vetter in Venedig das Dochtgarn für die Kerzen.

Das „Neue Journal für Fabriken, Manufakturen, Handlung, Kunst und Mode“ weiß 1809 (S. 305 f.) einiges über die Begebenheiten der ersten Jahre zu berichten. So wurde in der Guizettischen Familie in der ersten Zeit nur allein für den herzoglich Cellischen, wie auch für den Hof von Hannover gearbeitet. Die Wachslichter wurden auch nach Berlin geschickt. Das änderte sich jedoch später, sodass ein starker auswärtiger Absatz eintrat.

Der erste Besitzer der Guizetti’schen Wachsbleiche hatte unter seinen Arbeitern einen fähigen Mann. Es handelte sich nach dieser Quelle um einen Landmann aus dem Amt Bissendorf namens Borwarth. Diesen habe Guizetti anfangs zum Wachsankauf in der dortigen Gegend eingesetzt, und er besaß „in allen Stücken sein vorzügliches Vertrauen“. Nachdem sich dieser Borwarth mit den Handgriffen und Geheimnissen der Fabrikatur hinlänglich bekannt gemacht hatte, fasste er den Entschluss, eine eigene Fabrik in Celle anzulegen, was sein Herr, den er darüber informiert habe, nicht verhindern konnte.

Weiter heißt es über den neuen Mitbewerber: „Die eigentliche Zeit der Trennung läßt sich nicht genau angeben; die jetzige große Wachsbleiche, welche von einem Bierwirth (sie hatten nämlich nachmals ihren Namen dahin verändert) angelegt ist, muß bereits 100 Jahr alt sein, wie aus einer in Stein gehauenen Jahreszahl, nebst dem Namen des damaligen Besitzers, zu ersehen ist. Es leidet keinen Zweifel, daß diese Fabrik in dem vorigen Jahrhunderte ein bedeutendes Uebergewicht über die Guizettische in Ansehung des Absatzes behauptet hat. Dieses beweiset theils die Größe der Bleiche, indem schon über 60,000 Pfund in einem Jahre darauf gebleicht sind, auch die Guizettische erst in neueren Zeiten vergrößert worden, theils die desfalls vorhandenen Nachrichten.“

Hermann Moeck und Roland Hütter nennen den Konkurrenten in ihrem Buch „Wirtschaft in und um Celle“ (1995) wie zuvor Brigitte Streich „Casaroli“, meinen aber gewiss Angelo Casarotti, Kammerdiener des Kurfürsten Georg Ludwig in Hannover, der mit Anna Katherina Casarotti, geb. Gutjahr († 1736), verheiratet war und 1705 in Herrenhausen einen Hof erwarb, den er 1721 an die Gräfin Louise von Delitz (1692-1773), einer unehelichen Tochter Georgs I., verkaufte.

Moeck und Hütter schreiben: dass „Casarolis“ Wachsbleiche um 1750 von Johann Jacob Bierwirth übernommen worden sei, „der 1785 mit großem Erfolg 20.000 Pfund Wachskerzen herstellte“. Und weiter: „Zwischenzeitlich gehörte die Firma dann dem Kaufmann Jakob Christian Lampe und ging als August Schmidt Nachfolger letztlich 1894 an die Familie Wulkop über. 1826 verarbeiteten beide Bleichen zusammen 150.000 Pfund, und bis Ende des 19. Jahrhunderts war Celle wohl das größte norddeutsche Wachszentrum. Die Zahl der Mitarbeiter in beiden Firmen war aber nie sehr hoch, Guizetti z. B. weist 1903 nur 30 aus.“

Beiläufig verlautet in der Literatur, Angelo Casarotti habe seine Wachsbleiche 1714 Guizetti verkauft. Francesco Guizetti und seine Nachkommen trugen wesentlich zum Aufbau einer Büchersammlung der katholischen Kirche bei.

Mit etwa 30 Jahren lernte Guizetti die Französin Eleonore Guion (genannt La Perle) kennen und lieben. Sie war die Tochter eines Kammerdieners der Herzogin Eleonore d’Olbreuse und mütterlicherseits Enkelin des französischen Hofgärtners Henry Perronet, der von 1670 bis zu seinem Tod im Jahr 1690 Vorstand des Lust-, Küchen- und Gertgartens in Celle war und den ehemaligen Lustgarten als „Französischen Garten“ anlegte. Anlässlich ihrer Geburt im Jahr 1690 war erstmalig seit der Reformation in Celle wieder eine katholische Taufe vollzogen worden. Paten des Täuflings Eleonore Sophie Guion waren der katholische Graf Lucas Bucco, braunschweig-lüneburgischer Oberst und unehelicher Sohn des letzten Celler Herzogs Georg Wilhelm, und „Mme. Stickinelli“. 1709 heirateten Eleonore Guion und Francesco Guizetti.

1726 schloss „Seine Königliche Majestät von Großbritannien und Churfürstliche Durchlauchtigkeit zu Braunschweig und Lüneburg“ durch ihr Hofmarschallamt mit Francesco Guizetti die Lieferung der für den Hof benötigten Wachslichter auf künftige Jahre ab. Die Zukunft schien damit gesichert.

Zehn Jahre später starb Firmengründer Francesco Guizetti 58-jährig in Celle. Was im gleichen Jahr folgte, war eine Eingabe des Braueramtes wider Guizettis Witwe wegen der Konzession, um eigenes Hausbier zu brauen. Guizettis Sohn Franz Claude Guizetti (1721-1810), der Maria Dammers (1734-1805), Tochter des Lakenhändlers Peter Jakob Dammers, heiratete, erbte von seinem Vater die Wachsbleiche.

Deutsch, Italienisch, Französisch – alle drei Sprachen finden wir inzwischen in buntem Durcheinander in diesem Viertel im Bereich der Speicherstraße in Celle. Die Herzogstadt wurde aufgrund der Initiative Guizettis und der herzoglichen Förderung zum „Mittelpunkt der Wachskerzenfabrikation in Nordwestdeutschland“. Die Wachsfabrikation der beiden Celler Bleichen beherrschte annähernd zwei Jahrhunderte hindurch den norddeutschen Markt. Wachsbleichen bestanden um die Mitte des 18. Jahrhunderts ansonsten in Bremen, Hildesheim, Höxter und Wolfenbüttel. Es heißt, dass jeder Hof fast seine eigene Wachsbleiche hätte, woraus die „vornehmsten Bedienten“ versorgt würden.

Im protestantischen Norden ließen sich noch weitere namhafte Italiener nieder, wie Aloysius (Louis) Fallati (1760-1822), Kaufmann in Hamburg, dessen Sohn Johannes Baptista (1809-1855) eine Karriere als Staatswissenschaftler und Politiker machte, und Casparo de Nervo, der 1783 Bürger in Lübeck wurde. Die Hauptregister der Ausgaben für den Celler Hofstaat, 1685-1705 (NLA HStAH, Celle Nr. 44 Br. 935), nennen neben einigen italienischen Komödianten den herzoglichen Kammerdiener Giorgio Casarotti, den Gartenbaumeister Gaspario Ferri, den italienischen Kammersekretär Giuseppe Pignata, den Landdrost Giovanni Francesco Stechinelli, den Oberst von Bucco, einen Sohn Herzog Georg Wilhelms, den italienischen Maurermeister Jovanni Sale, die Familie Guizetti und den Stuckateur Giovanni Bastista Tornielli.

Neues Hannoverisches Magazin vom 26. September 1791. Digitale Sammlung Blazek

Im „Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode“ (Leipzig, August 1799, S. 135 ff.) wurde eine zuvor veröffentlichte Ist-Aufnahme der Wachsbleichen des Kommerzrates und Kammermeisters Christian Ludwig Albrecht Pape (1748-1817) berichtigt.

„Der Kommerz-Rath hat in dem Abriß des Fabriken-Handlungs-Zustandes S. 129 in Ansehung der Wachsbleichen folgendes bemerkt: ‚Wachsbleichen. Zu Harburg eine, den Erben weiland Kommerzien-Raths Boysen zugehörend, deren Fond inklusive der Gebäude und Ländereien auf 40,000 Rthlr. geschätzt wird. Verarbeitet jährlich ungefähr 40,000 Pfund Wachs, welches sämmtlich im Lande eingekauft ist, und beschäftigt 6 Personen.

Zu Zelle eine, vormals der Wittwe Bierwirth zugehörende, jetzt an den Kaufmann Lampe übertragene Wachsbleiche, verarbeitet jährlich ungefähr 20,000 Pfund Wachs.

Eine andere vor der Stadt gelegene Wachsbleiche verarbeitet jährlich ungefähr 4500 Pfund.’“

Direkt darunter folgt die Berichtigung von Patjes Beitrag, die darauf abzielt, Guizettis Betrieb als den bedeutenderen der beiden darzustellen und das Thema insgesamt noch etwas zu vertiefen:

„Die hier zuletzt angeführte, welche jährlich nur 4500 Pfund verarbeiten soll, ist gerade unter allen Wachsbleichen im Lüneburgischen, Wolfenbüttelschen und Hildesheimischen die größte und vorzüglichste, sie gehört den Wachsbleicher Franz Guizetti, beschäftigt 11 Personen, und verarbeitet jährlich über 100,000 Pfund Wachs.

In dem Hannöverischen Magazin ward einmal behauptet, daß die Wachsbleicher einen Zusatz unter das Wachs mischten. Guizetti erwiederte öffentlich: daß er sich nicht scheue, seine Waare der Untersuchung der Chemiker zu unterwerfen. Dieser bisher immer beobachteten Echtheit und Aufrichtigkeit ist es wohl zuzuschreiben, daß dieser Fabrik, des Krieges ungeachtet, es nicht an Absatz fehlt. Nach dieser Fabrik folgt die des Kaufmanns Lampe, welche nicht 20,000 Pfund, sondern über 40,000 Pfund jährlich verarbeitet. Herr Lampe mußte bei der Uebernahme, die im Sommer geschah, 33,000 Rthlr. für das vorhandene Wachs, ihm als Enkel der Wittwe Bierwirth zum billigsten Preise gerechnet, bezahlen. Erwägt man nun, daß der Wachsbleicher wieder gleich nach Michaelis einkaufen, den Bauer baar bezahlen muß, von dem im Sommer gebleichten Wachs noch nicht viel verarbeitet haben kann, das im vorigen Jahr verarbeitete noch nicht bezahlt erhalten, indem er den auswärtigen Kaufleuten Kredit geben muß, so ergibt sich, daß eine Wachsbleiche, deren Fond inklusive der Gebäude und Ländereien nur auf 40,000 Rthlr. geschätzt wird, und die nur 40,000 Pfund verarbeitet, die erste und ansehnlichste wohl nicht sein könne.

Von den Zelleschen Wachsbleichen liegt keine in der Stadt, sondern beide vor dem Thore, beide dicht neben einander.“

In Gottfried Christian Bohns „Waarenlager“ verlautete 1806: „In den Hannöverischen Ländern sind jetzt 5 Wachsbleichen, 2 zu Hannover, 2 bey Zelle und eine bey Harburg.“

Neben dem Bleichen von Wachs hat Guizetti auch die Kerzenfabrikation in Celle heimisch gemacht. Umseitig schreibt Firmeninhaber Franz Guizetti am 7. Juni 1900 dem Herrn M. Walter in Colmar/Elsass, Basler Str. 7: „Antwortlich Ihres gestr. Schreibens kommt mein Vertreter im Laufe der nächsten Woche zurück & werde ich dann der Sache näher treten.“ Digitale Sammlung Blazek

Das Geschäfts- und Familienarchiv des bis in die neunziger Jahre aktiven Unternehmens befindet sich im Celler Stadtarchiv. Zudem können Interessierte noch heute Kerzen aus echten „Guizetti“-Gussformen kaufen – diese werden beim Wochenmarkt vom Voigthof in Paulmannshavekost verkauft.

Literatur:

Carla Meyer-Rasch: Bericht über das 250jährige Jubiläum der Wachsbleiche und Kerzenfabrik Franz Guizetti, Celle. Celle 1946.

Mathilde Beitzen: Celler Kinder vor hundert Jahren. Festzeitung zur Feier der Zusammenkunft der Familie Guizetti am 11. Oktober 1885. August Lax, Hildesheim 1979.

 

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