Der preußische Scharfrichter Friedrich Reindel (1824-1908) betrieb in Magdeburg die Abdeckerei und vollzog 213 Hinrichtungen. Reindel war zudem Patenkind des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.

Von Matthias Blazek

Der Staatsanwalt rief mit fester Stimme: „Scharfrichter Reindel, ich übergebe Ihnen den Übeltäter, jetzt tun Sie Ihre Pflicht.“ Was jetzt kam, ging schnell und reibungslos vonstatten. Die robusten Söhne des Scharfrichters griffen den Todgeweihten von hinten und trugen ihn auf den Richtblock. Dort wurden sein Mantel und Hemd von seinem Rücken gerissen und der Delinquent auf den Boden gezwungen, zwei der Männer griffen seine Arme und Beine, während der dritte ihn am Kopf festhielt. Totenstille herrschte während dieser Zeremonie, der eine ausgewählte Anzahl von Zuschauern beiwohnte. Die Richter und Staatsanwalt beobachteten genau jedes Detail der grimmigen Vorbereitungen. Die Zeremonie näherte sich ihrem Höhepunkt. Friedrich Reindel, 66 Jahre alter Scharfrichter mit Wohnsitz in Magdeburg, nahm das glänzende Richtbeil aus der Tasche und rief: „Ich bitte Sie zu beobachten, dass wir ohne Maschine arbeiten und nicht rechtsverbindlich für die Gefangenen.“ Das Richtbeil sauste in diesem Augenblick wie ein Blitz durch die Luft, und der Kopf des Gefangenen rollte auf die Seite des Blocks.

All dies hat genau eine Minute gedauert. Der Schmiedegeselle Carl Schmiedecke, der an jenem 4. März 1891 in Plötzensee seinen Kopf verlor, war wegen Mordes an einer ganzen Familie auf dem Schafott gelandet.

1851 wurde im Strafgesetzbuch festgelegt, dass Hinrichtungen nur noch in umschlossenen Räumen vollzogen werden durften. Die öffentlichen Hinrichtungen gehörten damit in Preußen der Vergangenheit an. Nach dem Akt war es Aufgabe der Strafgefangenen, die Leichname der Delinquenten aufzunehmen, einzusargen und auf dem Anstaltsfriedhof zu beerdigen.

Der Scharfrichter hieß Friedrich Reindel, der seit 1873 in Magdeburg lebte und in Wilhelmstadt eine Abdeckerei führte. Das passte gut zusammen, da beide Tätigkeitsfelder in früheren Zeiten Randgruppen zugeschrieben wurden. Das Einfangen wilder Hunde, das Einkuhlen von Kadavern auf dem Schindanger und die Scharfrichterei lagen von jeher in der Aufsicht von amtlich bestellten Scharfrichtern. Sie übten ihre Tätigkeit in eigens zugewiesenen Distrikten aus, so auch Friedrich Reindel aus Magdeburg-Wilhelmstadt, 1824 in Werben (Elbe) geborener Spross eines Scharfrichters und Tierarztes. Sein Pate war interessanterweise der preußische König Friedrich Wilhelm III., der auch selbst die Vornamen des Täuflings bestimmte.

Ab 1842 arbeitete er als Scharfrichtergehilfe bei seinem älteren Bruder Wilhelm, dem in Werben (Elbe) wohnhaften Scharfrichter des norddeutschen Bundes. 1874 legte Friedrich Reindel erstmals selbst Hand an. Und als er 1898 aufhörte, war er 74 Jahre alt. Daher rührt sein Spitzname „Vater Reindel“.

Mit von der Partie waren stets Reindels Brüder, wie sein jüngerer Bruder August, Abdecker in Lüchow. Ein Familienbetrieb aus Tradition sozusagen. Friedrich Reindel war alleiniger Scharfrichter von ganz Preußen, er war über die Landesgrenzen hinaus namentlich bekannt und respektiert.

213 Hinrichtungen gehen auf sein Konto. In einem Tagebuch hat er 196 tadellose Hinrichtungen aufgelistet. Zweimal vollzog er eine doppelte, einmal eine dreifache Hinrichtung und am 21. Mai 1898 in Duisburg gar eine vierfache Hinrichtung. In einem Attestbuch ließ sich Reindel vom Staatsanwalt oder Richter bestätigen, dass er seinem Handwerk ordentlich nachgegangen gewesen sei. Vermerke, wie „schnell und sauber“ oder „es ist kein Blut gespritzt“, finden sich darin. Für den Scharfrichter waren diese Vermerke wichtig, sie bestätigten seine Fertigkeiten und sicherten ihm neue Aufträge.

Wenn er von den Staatsanwaltschaften gefragt wurde, ob er bereit sei zu einer weiteren Amtshandlung, dann trugen die Briefe den „Geheim“-Stempel. Stets wurde der Scharfrichter ermahnt, Stillschweigen zu wahren und würdevoll aufzutreten.

Solange er noch nicht als preußischer Scharfrichter bestellt war – das war zunächst von 1878 bis 1889 Julius Krautz – hatte Friedrich Reindel noch relativ wenige Einsätze als Scharfrichter. Am 27. März 1874 trat er erstmals eigenverantwortlich in Aktion. Der ledige Maler Louis Krage stand wegen Doppelmordes in Braunschweig auf dem Schafott. Bis zum letzten Augenblick hatte er seine Unschuld beteuert.

Privates oder auch Zeitzeugenberichte sind eher selten. „R. ist ein stattlicher Mann mit bleichem Gesicht, aus dem weit eher Gutmüthigkeit als Hartherzigkeit spricht“, beschrieb „Die Gegenwart“ 1875 den Akteur aus Magdeburg. Zitate wurden dem betagten Mann selten abgerungen. „Das sind keine Menschen mehr, denen müsste ich zweimal den Kopf abschlagen“, soll er gesagt haben, wenn es um die Hinrichtung besonders schwerer Verbrecher gegangen war. Reindel folgte einem Berufsethos, bei dem die im Auftrag des Königs ausgeführte Amtshandlung im Vordergrund stand. Er war nicht der erste Scharfrichter seiner Dynastie, er sollte auch nicht der letzte sein. Selbst in der nationalsozialistischen Zeit war noch ein Nachkomme am Werk. Und dessen Arbeit beschränkte sich leider nicht auf Verbrecher.

Im Jahre 1889 ereignete sich ein großer Wandel im Berufsleben Friedrich Reindels. Der bisherige preußische Scharfrichter Julius Krautz hatte seinen Gehilfen getötet und wurde dafür in Untersuchungshaft genommen. In dieser Zeit, und zwar im April 1889, wurde Friedrich Reindel beauftragt, den zum Tode verurteilten Raubmörder Stephan Horzan in Oppeln hinzurichten. Dem kam er am 25. April nach, bewährte sich und trat noch im gleichen Jahr, nachdem Krautz in den Ruhestand geschickt worden war, in preußische Staatsdienste.

Die Einsatzorte Friedrich Reindels lagen nach den vorliegenden vergilbten Unterlagen weit verstreut. Selbst Aachen, Köln, Bochum und Trier befanden sich in Reindels Zuständigkeitsbereich. Mit der Eisenbahn oder mit einer Droschke fuhren der Scharfrichter und seine Gehilfen inkognito zu den Hinrichtungen.

Seinen zweiten Auftritt als preußischer Scharfrichter hatte Friedrich Reindel bereits am 2. Mai 1889, als er nach Gera reiste, um den Fabrikarbeiter Rudolf Scheibe zu enthaupten.

Am 6. September 1889 feierte Reindel bereits seinen 65. Geburtstag gefeiert und übernahm seinen erweiterten Aufgabenbereich somit in einem Alter, in dem die Menschen in heutiger Zeit an den Eintritt in den Ruhestand denken.

Hinrichtung von Friedrich Klausien am 2. April 1891 durch Friedrich Reindel

Titelseite des „Petit Parisien“ vom 19. April 1891. Zu sehen ist der aus Magdeburg angereiste Scharfrichter Reindel bei der Hinrichtung von Friedrich Klausien am 2. April 1891. Photographische Zeichnung von Mary Evans. Repro: Blazek

Einmal schmückte der betagte Mann die Titelseite einer Zeitschrift. „Le Petit Parisien“ hielt die Szenerie graphisch fest, als der jugendliche Doppelmörder Friedrich Klausien 1891 in Plötzensee enthauptet wurde: „Le bourreau Reindel, de Magdebourg, tranchant la tête du condamné Klausin dans la prison de Berlin“ (der Scharfrichter Reindel, Magdeburg, beim Abtrennen des Kopfes des Verurteilten Klausin im Gefängnis von Berlin), heißt es unter der Zeichnung auf der Titelseite. Der Zeichner sah Reindel mit Rauschebart und Zylinder, für das Festhalten von Klausins Haaren war der Darstellung zufolge nur ein Scharfrichtergehilfe nötig.

1894 machte Friedrich Reindel die Hundert voll. Als am 28. August 1897 die Goldene Hochzeit von Auguste Amalie und Friedrich Reindel stattfand, kamen Glückwünsche sogar aus dem Königshaus. Und da war der Senior sehr wohl noch in Amt und Würden. Zeitungen berechneten damals, dass Reindel inzwischen 188 Todesurteile in Deutschland vollstreckt gehabt habe, darunter allein 31 in Schlesien.

Nach 1898 ist keine von Friedrich Reindel selbst vollzogene Enthauptung mehr dokumentiert, auch wenn er nach wie vor erster Ansprechpartner der Behörden geblieben ist. Rheumatische Beschwerden im Arm zwangen ihn, sich vom Sohn Wilhelm vertreten zu lassen.

Friedrich Reindel überlebte seine Frau, die ihm sechs Kinder geschenkt hatte, um acht Jahre: Er starb in Magdeburg am 27. September 1908 im Alter von 84 Jahren.

Literatur:

Matthias Blazek: „Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt.“ Die Brüder Wilhelm und Friedrich Reindel: Scharfrichter im Dienste des Norddeutschen Bundes und Seiner Majestät 1843-1898. ibidem, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-8382-0277-8

 

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